Ernährung im frühen Leben prägt die Darmimmunität

Forschende der Universität Bern, des Inselspitals, Universitätsspital Bern und der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben herausgefunden, dass die Zusammensetzung unserer Nahrung in der frühen Lebensphase das Immunsystem stärken kann. Am Mausmodell zeigten die Forschenden, dass bestimmte Nahrungsbestandteile die Produktion und Vielfalt der Antikörper im Darm erhöhen, und zwar unabhängig von der bestehenden Darmflora. Die Ergebnisse könnten die Prävention und Behandlung von Krankheiten in Zukunft grundlegend verbessern.

In unserer Darmflora befinden sich Billionen von Bakterien. Diese sind nicht nur für unsere Verdauung, sondern auch für ein gesundes Immunsystem unerlässlich. Die Erkenntnis, dass sich unsere Ernährung auf unser Immunsystem auswirkt, gewinnt sowohl in der Forschung als auch im öffentlichen Bewusstsein zunehmend an Bedeutung. Bereits 2020 konnte in einer Studie gezeigt werden, dass die Mikroorganismen im Darm, die Darmmikrobiota, das Antikörperrepertoire im gesamten Körper beeinflussen kann. Insbesondere Antikörper des Typs Immunglobulin A (IgA) sind für die Immunität der Darmschleimhaut entscheidend und spielen eine zentrale Rolle bei der Abwehr von Krankheitserregern, indem sie deren Eindringen und Vermehrung im Darm verhindern. Lipopolysaccharide (LPS) sind Bestandteile der bakteriellen Zellwand. Diese werden natürlicherweise von lebenden Darmbakterien gebildet, können aber auch in unserer Nahrung vorkommen, insbesondere in fermentierten und wenig prozessierten Lebensmitteln wie Joghurt, Obst und Gemüse. Welchen Einfluss diese LPS-Moleküle auf die Immunantwort im Darm haben, wurde in der vorliegenden Studie im Detail untersucht. 

Unter der Leitung von Prof. Dr. Stephanie Ganal-Vonarburg und Prof. Dr. Andrew Macpherson vom Department for Biomedical Research (DBMR) der Universität Bern und der Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin am Inselspital, Universitätsspital Bern, konnte ein Team von Forschenden in Zusammenarbeit mit der Charité zeigen, dass LPS-reiche, ausgewogene Diäten die Vielfalt des Antikörperrepertoires im Darm der Maus erhöhen, insbesondere in der frühen Lebensphase. Die Ergebnisse, die kürzlich in der Fachzeitschrift Cell Press Immunity veröffentlicht wurden, bieten neue Einblicke in die komplexen Mechanismen, durch die sich die Ernährung auf das Immunsystem auswirkt.

Berner Clean Mouse Facility entscheidend für Erfolg
Um die Auswirkungen verschiedener Diäten auf das Immunsystem zu untersuchen, nutzten die Forschenden einerseits keimfreie Mäuse, das heisst Mäuse, die komplett ohne Mikroorganismen, einschliesslich Darmbakterien, aufwachsen, und andererseits Mäuse, deren Darm mit Bakterien kolonisiert waren. «Die Clean Mouse Facility an der Universität und dem Inselspital gehört zu den grössten gnotobiotischen Tierhaltungsanlagen Europas und war entscheidend für die Durchführung der Studie», erklärt Stephanie Ganal-Vonarburg, Ko-Letztautorin der Studie. Die Mäuse erhielten entweder eine LPS-reiche, ausgewogene Standarddiät oder eine LPS-arme, fett- und kohlenhydratreiche Diät. Letztere ähnelt einer typischen westlichen Ernährung mit hohem Fett- und Kohlenhydratanteil und wenig Ballaststoffen oder pflanzlichen Bestandteilen. «Durch den Einsatz von keimfreien Mäusen konnten wir die direkte Wirkung der Ernährung und Nahrungsbestandteile auf das Immunsystem isoliert beobachten und so die Rolle von LPS in der Immunmodulation klarer definieren», sagt Prof. Dr. Francesca Ronchi, eine der Erstautorinnen der Studie, welche die Arbeit am DBMR als Postdoktorandin begonnen hat und mittlerweile am Institut für Mikrobiologie und Infektionsimmunologie an der Charité arbeitet. «Um die Immunantwort im Detail zu analysieren, untersuchten wir die IgA-Produktion in darmassoziierten Lymphknoten und den Antikörperspiegel. Das Antikörperrepertoire wurde mittels modernen Sequenziertechniken charakterisiert», so Ronchi. 

LPS-reiche Ernährung stärkt Darmimmunität
Die Studie zeigt, dass eine LPS-reiche, ausgewogene Ernährung die Produktion und Diversifizierung von Antikörpern des Typs Immunglobulin A (IgA) im Darm anregen, was für die Abwehr von Krankheitserregern entscheidend ist. «Wenig ausgewogene und wenig vielfältige Diäten enthalten geringere Mengen solcher bakteriellen Moleküle wie LPS und stimulieren das mukosale Immunsystem entsprechend schwächer» sagt Ganal-Vonarburg. Besonders in der frühen Lebensphase ist der Einfluss der Ernährung entscheidend, da er zu einer langfristigen Förderung der Antikörperdiversität im Darm führt. Zu ihrer Überraschung konnte das Team von Forschenden den nahrungsbedingten Effekt sowohl bei keimfreien als auch bei mit kolonisierten Mäusen beobachten. Ganal-Vonarburg hält fest: «Mit anderen Worten: Ernährung im frühen Leben prägt die Darmimmunität, selbst in Abwesenheit von Darmbakterien.» Die Studienergebnisse weisen zudem darauf hin, dass LPS, je nachdem, ob es aus der Nahrung stammt oder von lebenden Darmbakterien gebildet wird, unterschiedliche immunologische Effekte haben kann. Diese Unterscheidung war bisher unzureichend beschrieben.

Gesundheitliche Auswirkungen und zukünftige Forschung
Die Forschungsarbeiten stärken die Position der Universität Bern als international anerkanntes Zentrum für Mikrobiomforschung und mukosale Immunologie. «Die Erkenntnisse erweitern unser Verständnis darüber, wie Ernährung und mikrobielle Signale das Immunsystem formen, insbesondere im frühen Leben. Sie zeigen, dass nicht nur die Zusammensetzung der Mikrobiota, sondern auch die Art der aufgenommenen Nahrung langfristig beeinflussen kann, wie der Körper auf Krankheitserreger oder Impfstoffe reagiert», sagt Prof. Dr. Andrew Macpherson, Ko-Letztautor der Studie und emeritierter Professor für Gastroenterologie. Ganal-Vonarburg ergänzt: «Wir untersuchen derzeit, welche weiteren diätetischen Komponenten das Immunsystem beeinflussen können. Und natürlich, ob sich diese Effekte auch beim Menschen beobachten lassen». Die Erkenntnisse könnten zur Entwicklung neuer Ernährungsrichtlinien beitragen, die die Immunfunktion optimieren, sowie zur Entwicklung neuer Ansätze für die Prävention und Behandlung von Krankheiten.

Angaben zur Publikation:
C. Mooser, F. Ronchi, J.P. Limenitakis, C. Kalbermatter, S. Christensen, M. Gomez de Agüero, T. Fuhrer, U. Sauer, A. J. Macpherson, and S. C. Ganal-Vonarburg. (2025). Diet-derived LPS determines intestinal IgA induction and repertoire characteristics independently of the microbiota. IMMUNITY, published online on 26 June 2025.
URL: https://www.cell.com/immunity/fulltext/S1074-7613(25)00245-6
DOI: 10.1016/j.immuni.2025.05.024

Kontakt:
Prof. Dr. Stephanie Ganal-Vonarburg
Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern, und Department for BioMedical Research, Universität Bern
Tel: +41 31 684 00 50
E-Mail: stephanie.ganal@STOP-SPAM.unibe.ch 

Eine neue Studie zeigt: Bestimmte Nahrungsbestandteile erhöhen die Produktion und Vielfalt der Antikörper im Darm. ©nobeastsofierce